Burger Journal 03 - April 2020

Einträge im Verding-Rodel zum unehelichen Kind der Elsbeth Risen, welches «vertischgeltet» wurde. Zu jener Zeit lag das Armenwesen im Kanton Bern noch in der Kompetenz der Burgergemeinde bzw. Heimatgemeinde bevor es 1857 an die Einwohner­ gemeinden überging. Deshalb sind im Burgerarchiv fast lückenlos überlieferte Akten zum Armenwesen seit Mitte des 17. Jahrhunderts aufbewahrt. Darunter auch fünf Verding-Rodel für die Jahre 1669 bis 1799. VERDING-RODEL DER ARMEN, WITTWEN UND WAISEN Die Verdingung oder Vertischgeltung war seit dem Spätmittelalter eine weit verbreitete Form der Fremd­ platzierung von Armen, Waisen, Findelkindern und «illegitimen» d.h. unehelichen Kindern. Sie wurden von der Fürsorge-Behörde der elterlichen Obhut entzogen und bei Fremden oder Verwandten unterge­ bracht. Vor allem wenn es um die Fremdplatzierung als Verdingkind ging, schloss die für das Armenwesen zuständige Heimatgemeinde eine vertragliche Abma­ chung mit Personen oder Familien, die das Kind gegen Geld aufnahmen und für deren Wohl zu sorgen hatten. Als Gegenleistung wurde das Kind als Arbeitskraft eingesetzt. All diese Abmachungen und deren meist jährliche Erneuerung wurde in den Verding-Rodeln minutiös festgehalten. Zudem wurden sämtliche Ausgaben für die Verdingten bis hin zu den Kosten für ein paar Schuhe, die für sie gekauft werden mussten, festgehalten. So dokumentiert das nebenstehende Beispiel das Schicksal von Elsbeth Risens unehelicher Tochter. Das Kind wurde dem Caspar Schertenleib auf der Rüglen in Heimiswil verdingt. Die Abmachung wurde jährlich erneuert bis das Kind dem Esayas Scherten­ leib verdingt und wiederum für ein Jahr «continuiert» wurde. Später übernahm die Witwe Schertenleib zum gleichen Preis das Kind, bis zu dem Eintrag, dass das Kind «fürhin im untern Spital verpflegt werden soll». Solches Vorgehen war im damaligen Armenwesen sowohl in städtischen als auch ländlichen Gegenden durchaus üblich. So wurden auch Kinder aus ver­ armten städtischen Handwerkerfamilien auf das Land verdingt. Für die Behörden standen dabei finanzielle Überlegungen durchaus im Zentrum, denn die Unter­ bringung im Spital, Armen- oder Waisenhaus verur­ sachte weit höhere Kosten als die Verdingung. Zudem war man auch überzeugt, dass die Unterbringung in einer «intakten» Familie den betroffenen Kindern eine gute Erziehung und vielleicht auch eine spätere Berufsausbildung ermöglichen würde. Erst die aufkommende Kritik an der Verdingung wie sie von Pestalozzi oder Jeremias Gotthelf geäussert wurde, leitete eine Wende ein. Die Unterbringung in Waisen- oder Armenhäusern, wie sie auch in Burgdorf errichtet wurden, bekam einen grösseren Stellenwert und galt vorübergehend als fortschrittlicher. ZUGANG ZUM BURGERARCHIV Das Burgerarchiv befindet sich im Gebäude der Stadt­ bibliothek. Die Einsicht in das Archivgut steht der Öffentlichkeit unentgeltlich imLesesaal zur Verfügung. Wir empfehlen Ihnen eine Voranmeldung und Kontakt­ aufnahme bei der Archivarin Luzia Fleischlin. Reguläre Öffnungszeiten: Mittwochs 13.30 –17.00 Uhr Telefon: 034 422 00 72  E-Mail: l.fleischlin@bus-biblio.ch Website: www.burgergemeinde-burgdorf.ch/burgerarchiv Online-Katalog: www.burgerarchiv-burgdorf.findbuch.net

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